Entscheidung des Bundesarbeitsgericht – Pflicht zur Zeiterfassung

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Zeiterfassung im Homeoffice

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung! Neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass nahezu alle Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu erfassen. Hierzu wurde bereits eine Pressemitteilung des BAG viel beachtet. Nun wurden auch die mit Spannung erwarteten Gründe zur  Entscheidung zur Zeiterfassung veröffentlicht. Es handelt sich um einen Beschluss vom 15.09.2022 (Aktenzeichen 1 ABR 22/21). Die “Arbeitszeiterfassung für alle” kommt nicht nur, sie ist bereits ab sofort da. Die praktischen Auswirkungen werden aber weiterhin im Einzelnen diskutiert. Wir haben nachfolgend die wichtigsten Informationen für Sie zusammengestellt. Eine Zusammenfassung auf einen Blick finden Sie zudem unten in unserer Checkliste zur neuen Entscheidung.

Gerne stehen wir Ihnen auch aus unsere Kanzlei in Berlin als Fachanwalt für Arbeitsrecht beratend hierzu zur Seite. Melden Sie sich gerne unverbindlich bei uns.

Hintergrund der Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob einem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems betreffend die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zustand. In diesem Zuge hat sich das Bundesarbeitsgericht allgemein mit der Pflicht von Arbeitgebern zur Zeiterfassung befasst. (Ein Initiativrecht des Betriebsrates wurde abgelehnt.)

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Tat entschieden, dass Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen.

Das geforderte System muss dabei, so das BAG, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) erfassen und aufzeichnen. Die Pflicht zur Einführung beschränkt sich zudem gemäß dem BAG „nicht darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt“. Es müsse hiervon also auch tatsächlich Gebrauch gemacht werden.

Das BAG konkretisiert auch die spezifischen Anforderungen für ein Zeiterfassungssystem unter Berufung auf den Gerichtshof der Europäischen Union weiter. Es muss sich danach um ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System handeln. Allerdings wird hier ein gewisser Spielraum je nach „Eigenheiten des Unternehmens“ zugebilligt. So kann es danach zulässig sein, Aufzeichnungen in Papierform durchzuführen. Auch kann es danach zulässig sein, die Aufzeichnung an die Arbeitnehmer zu delegieren. Entscheidend ist hierbei, so das BAG, insbesondere die Größe des Unternehmens.

Da das Bundesarbeitsgericht nur durch die Auslegung bestehender Gesetze zu diesem Ergebnis gekommen ist, gilt die Pflicht der Arbeitszeiterfassung ab sofort. Beziehungsweise, das BAG geht davon aus, dass diese Pflicht eigentlich schon seit vielen Jahren besteht.

Juristische Herleitung des BAG

Das Bundesarbeitsgericht bezieht sich in seiner Entscheidung in erheblichem Maße auf europäisches Recht und auf europäische Rechtsprechung.

Ausgangspunkt sind die europäische Arbeitszeitrichtlinie in ihrer ersten Fassung aus dem Jahre 1994 sowie deren Nachfolgerichtlinie (Richtlinien 93/104/EG und 2003/88/EG) und die europäische Arbeitsschutzrahmenrichtlinie aus dem Jahre 1989 (Richtlinie 89/391/EWG). Als EU-Richtlinien waren deren Vorgaben durch den deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umzusetzen. Die ist im Arbeitszeitgesetz und im Arbeitsschutzgesetz geschehen.

Das BAG stellt nunmehr in seiner Entscheidung zunächst zum deutschen Arbeitszeitgesetz zutreffend fest, dass sich hieraus keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer ergibt. Im Gegenteil ist eine allgemeine Arbeitszeiterfassung hier gerade nicht vorgeschrieben, sondern nur für bestimmte Fälle.
Das BAG legt dann jedoch § 3 Abs. 1 des deutschen Arbeitsschutzgesetzes dahingehend aus, dass sich hieraus eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ergebe. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 des deutschen Arbeitsschutzgesetzes lautet dabei: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen.“. Diese allgemeine Pflicht umfasse, so nunmehr das BAG, grundsätzlich auch als Maßnahme die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung.
Diese Auslegung überschreite, so das BAG, nicht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.

Das Bundesarbeitsgericht kommt zu diesem Ergebnis unter anderem unter Verweisung auf eine unionrechtskonforme Auslegung betreffend das Recht der europäischen Union. Ein Kernpunkt in der Begründung des Bundesarbeitsgerichts ist die Feststellung, dass sich aus den genannten europäischen Richtlinien ergebe, dass die europäische Arbeitsschutzrahmenrichtlinie unabhängig von der europäischen Arbeitszeitrichtlinie in vollem Umfang auch auf die Einhaltung der Mindestruhezeiten und die wöchentlichen Höchstarbeitszeiten Anwendung finde. Das heißt, nach dem BAG schließt der Umstand, dass das Arbeitszeitgesetz keine Arbeitszeiterfassung vorschreibt, nicht aus, dass sich diese Pflicht dennoch aus dem eigentlich weniger speziellen Gesetz, dem Arbeitsschutzgesetz, ergeben könne.

Die Pflicht, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, übernimmt das BAG dann schlussendlich aus einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18). Hier hatte der EuGH ebenfalls eine entsprechende Pflicht der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung festgestellt. Diese Entscheidung berief sich dabei nicht nur auf die europäische Arbeitszeitrichtlinie, sondern auch auf die europäische Arbeitsschutzrahmenrichtlinie. Daraus schließt das BAG in letzter Konsequenz, dass auch das deutsche Arbeitsschutzgesetz im Sinne einer Auslegung im Einklang mit dem Europarecht dahingehend auszulegen sei, dass durch nahezu alle Arbeitgeber ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen sei. Denn das deutsche Arbeitsschutzgesetz sollte nach dem Willen des Gesetzgebers die Vorgaben der europäischen Arbeitsschutzrahmenrichtlinie vollständig umsetzen. Daraus schließt das BAG, dass die im deutschen Arbeitsschutzgesetz nicht weiter benannten „erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ dahingehend auszulegen seien, dass diese auch ein System zur Arbeitszeiterfassung umfassten.

Ausblick / Neues Gesetz angekündigt

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung an mehreren Stellen angedeutet, dass es den deutschen Gesetzgeber in der Pflicht sieht, nunmehr eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Gegenüber Medienvertretern hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales angekündigt, es werde „voraussichtlich im ersten Quartal 2023“ einen Vorschlag für eine entsprechende Ausgestaltung machen.

Konsequenzen bei Nichtbeachtung

Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz können grundsätzlich bußgeldbewehrt sein. Allerdings nur, wenn eine Ordnungswidrigkeit verwirklicht wird. Ordnungswidrig in diesem Sinne handelt wiederum gemäß § 25 des Arbeitsschutzgesetzes in diesem Zusammenhang, wer sich einer vollziehbaren Anordnung einer Maßnahme einer zuständigen Behörde widersetzt. Der bloße Verstoß gegen eine Arbeitsschutzvorschrift für sich ist demnach keine Ordnungswidrigkeit. Derzeit ist also davon auszugehen, dass eine Behörde zunächst im Einzelfall anordnet, die Maßnahme „Arbeitszeiterfassung“ zu treffen. Erst wenn dann dieser Anordnung nicht nachgekommen werden würde, käme regelmäßig die Vollendung einer Ordnungswidrigkeit bzw. ein Bußgeld in Betracht.

Nicht absehbar ist jedoch, wie die Arbeitsgerichte nunmehr hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast in Arbeitszeitprozessen mit der neuen Rechtsprechung des BAG umgehen. Es kann nach unserer Einschätzung zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Arbeitsgerichte die Entscheidung des BAG in solchen Prozessen bei fehlender Arbeitszeiterfassung zum Nachteil des Arbeitgebers anwenden.

Wie müssen Unternehmen jetzt reagieren?

Für Unternehmen die bereits bisher die Arbeitszeiten Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfasst haben, dürften sich in aller Regel keine Neuerungen ergeben. Sie sollten aber die angekündigten neuen Gesetze der Bundesregierung im Auge behalten.

Unternehmen die bisher keine Arbeitszeiten erfasst haben, sollten prüfen, ob bereits einsatzfähige und nach den genannten Kriterien des BAG taugliche Systeme zur Arbeitszeiterfassung in Ihrem Unternehmen bestehen (bspw. in einer vorhandenen Personalsoftware). Vor der Anschaffung gegebenenfalls kostenintensiver neuer Systeme für eine Zeiterfassung sollte berücksichtigt werden, dass die angekündigten neuen Gesetze für 2023 eventuell neue Anforderungen an eine Zeiterfassung stellen könnten. Als Alternative könnte sich unter Umständen je nach den Umständen im Unternehmen und dessen Größe übergangsweise die händische Zeiterfassung (elektronisch oder auf Papier) empfehlen.

Wir beraten Sie gerne als Ihre Fachanwaltskanzlei für Arbeitsrecht hierzu – kontaktieren Sie uns unverbindlich.

Checkliste BAG Urteil zur Arbeitszeiterfassung

o Arbeitszeiterfassungssysteme sind nunmehr tatsächlich „für alle“ Pflicht.

o System muss auch aktiv genutzt werden.

o System muss „objektiv, verlässlich und zugänglich“ sein.

o Die Delegierung der Arbeitszeitaufzeichnung an die Arbeitnehmer selbst ist grundsätzlich zulässig.

o Auch Papierform denkbar.

o Gesetzliche Regelung mit konkreten Anforderungen wird frühestens 2023 erwartet.

o Bußgelder sind nur nach vorheriger Anordnung der Umsetzung durch die zuständige Behörde möglich.

o Nachteile durch fehlende Aufzeichnungen in Arbeitsgerichtsverfahren um Arbeitszeit/Überstunden können derzeit nicht ausgeschlossen werden.

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