BAG – Neue Urteile zum Verfall von Urlaub

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BAG – Neue Entscheidungen zum Verfall von Urlaub

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 20.12.2022 zum Aktenzeichen 9 AZR 266/20 bzw. 9 AZR 456/20 zum Verfall von Urlaubsansprüchen entschieden. Dies ergibt sich vorab aus entsprechenden Pressemitteilungen des BAG. Zudem hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20 die Entscheidungen ergänzt. Medial wurde das Rechtsprechung teils so wiedergegeben, als ergäben sich aus den Entscheidungen weitreichende Folgen für die Praxis und als brächteb sie erweiterte Urlaubsansprüche mit sich. Aber ist das tatsächlich der Fall? Wir stellen Ihnen nachfolgend die wichtigsten bekannten Aspekte dar.

Die Kernaussage des Urteils

Vorab: nach dem Wortlaut der betreffenden Pressemitteilung ist zunächst lediglich der gesetzliche Mindesturlaub betroffen. Das heißt 20 Urlaubstage bei einer Fünftagewoche gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG.

In der erstgenannten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht hierzu entschieden, dass der der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub zwar der gesetzlichen Verjährung unterliegt. Allerdings beginnt diese dreijährige Verjährungsfrist ebenso wie sonstige Verfallfristen erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Ferner weist das BAG darauf hin, mit der Entscheidung europäisches Recht, beziehungsweise eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union umzusetzen. Hintergrund ist, dass das Urlaubsrecht mit der europäischen Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung harmonisiert wurde. Die Umsetzung im deutschen Recht findet sich wiederum im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG).

Wann kann nun Urlaub verfallen?

Zunächst gilt weiterhin das Bundesurlaubsgesetz. Danach gilt gemäß § 7 Abs. 3 BurlG folgendes:

„Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.“

Der gesetzliche Urlaubsanspruch kann grundsätzlich also weiterhin am 31. März des Folgejahres verfallen.

Dies hat das BAG gemäß seiner Pressemitteilung  insoweit eingeschränkt, dass dies nur gelten soll, soweit der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hierüber belehrt hat und der der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Allerdings ist dies im Grundsatz bereits seit längerer Zeit im Arbeitsrecht weitgehend anerkannt.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022 hat hier also den überwiegenden Stand des arbeitsrechtlichen Schrifttums und der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte bestätigt. Es liegt auch auf einer Linie mit vorhergehenden Entscheidungen des BAG selbst (bspw. vom 07.09.2021 – Az. 8 Sa 182/20). Auch hier wurde die Belehrungspflicht für den Verfall des – gesetzlichen – Mindesturlaubs bereits ausdrücklich anerkannt.

In seiner Entscheidung zum Aktenzeichen 9 AZR 456/20 hat das BAG auch nochmals im Grundsatz bestätigt, dass bei Krankheit der Urlaubsanspruch weiterhin mit Ablauf der 15-Monatsfrist verfallen kann. Dies immer dann, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es, so das BAG, auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Das ist neu

Neu ist nach dem Urteil vom 20.12.2022 zum Aktenzeichen 9 AZR 266/20, dass auch die allgemeinen Verjährungsfristen für Urlaubsansprüche bei fehlender Belehrung über den konkreten verbleibenden Jahresurlaubsanspruch und Verfallfristen nicht zur Anwendung kommen sollen. Bei fehlender Belehrung kann also unter Umständen nahezu unbegrenzt noch länger als drei Jahre rückwirkend Urlaub geltend gemacht werden.

Anderes gilt nach dem Urteil vom 31. Januar 2023 für den Abgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten (also die Belehrung) ankommt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet hier, so das BAG eine Zäsur.

Zuletzt hat das BAG in seiner Entscheidung zum Aktenzeichen 9 AZR 456/20 den 15-monatigen Verfall bei Krankheit zu eingeschränkt: wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend der Kläger – im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In dieser Fallkonstellation setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs nunmehr voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Im vorliegenden Fall war der betreffende Arbeitnehmer erst im Dezember 2014 erkrankt und hatte hier noch 24 Urlaubstage, welche der Arbeitgeber ihm, so das BAG, nicht ermöglicht hatte zu nehmen und ihn auch nicht belehrte. Hier können sich in der Praxis in der Tat Folgen für den Verfall von Urlaub aus dem Jahr der Erkrankung ergeben. Auf eine ordnungsgemäße Mitwirkung sollte geachtet werden (s.u.).

Was gilt für freiwillig gewährten Urlaub über 20 Tage hinaus?

Das BAG bezieht sich in seinen genannten Entscheidungen lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Auch der Gerichtshof der europäischen Union prüfte seinerzeit nur die Vereinbarkeit deutscher Rechtsvorschriften mit diesen europarechtlich vorgeschriebenen Mindestarbeitsbedingungen. So hat der EuGH bereits mit Urteil vom 19.11.2019 (Aktenzeichen C-610/17) entschieden, dass dadurch, dass Arbeitnehmern ein bezahlter Jahresurlaub zuerkannt wird, der über die garantierte Mindestdauer von vier Wochen hinausgeht, der europarechtliche Mindestschutz weder berührt noch eingeschränkt werden kann, allein nur, weil hier eine Gutschrift (Übertragung) ausgeschlossen ist.

Daraus folgt, dass der gesetzliche Mindesturlaub von 20 Tagen zwar unter erschwerten Bedingungen verfallen kann. Freiwillig gewährter Urlaub, der über die 20 Tage hinausgeht, kann jedoch nach unserer derzeitigen Einschätzung nach wie vor trotz der neuen Rechtsprechung des BAG abweichend verfallen. Allerdings nur dann, wenn entsprechende vertragliche Regelungen hierzu zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart wurden.

Was ist nunmehr zu beachten?

Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 07.09.2021 – Az. 8 Sa 182/20 festgestellt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer „klar und verständlich“ mitzueilen hat, „dass sein Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder des Übertragungszeitraums verfällt und dass er ihn aufzufordern hat, seinen Urlaub zu nehmen.“ Dies habe „erforderlichenfalls“ förmlich zu erfolgen. Eine mündliche Belehrung dürfte somit grundsätzlich ebenfalls möglich sein. Aus Nachweiszwecken sollten Arbeitgeber nunmehr aber jedoch eine Belehrung zumindest in Textform vorziehen.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten nun auch ihre Arbeitsverträge prüfen: Wird hier zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und freiwillig gewährtem Urlaub unterschieden? Was ist hier für den Verfall geregelt? Dem wird mit der Entscheidung des BAG künftig eine noch größere Bedeutung zukommen.

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